Es gibt Bücher, die nimmt man überall mit hin. Ins Bett, ins Bad, ins Auto, zum Kochen, ins Café, auf die Couch und wieder ins Bett. Weil man nicht will, dass die Geschichte abreißt, dieser angenehme Strom im Kopf, in den man so versinkt, dass alles drumherum einfach ausgeblendet wird. Bei meinem Kopfhörer heißt sowas Noise Cancelling, und beim Lesen nenne ich es jetzt einmal Noise Cancelling im Kopf: Alle Gedanken halten still, bis du mit der Geschichte durch bist.
WRITERS & LOVERS ist für mich so ein Buch: ein Lichtblick unter vielen, eine Offenbarung, Liebe auf die ersten Sätze, eine Wohltat, was auch immer. Und das liegt noch nicht einmal daran, dass es in Lily Kings Roman ums Schreiben geht.
“Ich flüchte mich für kurze Zeit in ein fremdes Gehirn.”
Writers & Lovers, Lily King
Was mich gepackt hat, war vielmehr die glasklare Beschreibung der Tatsache, dass Schreiben für den, der es tut, alternativlos ist. Ich kann nicht schreiben oder schreibe gerne, sondern ich MUSS schreiben. Dass ich davon leben kann, ist gut, aber irrelevant. Ich schreibe nicht, um davon zu leben, sondern um weiterzuleben.
Auch Casey, die junge Frau aus WRITERS & LOVERS, kann nicht aus ihrer Haut, selbst wenn diese sich oft anfühlt, als hätte sich ein Bienenschwarm darunter niedergelassen.
Sechs Jahre lang schreibt Casey an einem Buch, und jedes Mal, wenn sie wieder daraus auftaucht, ist das Leben härter geworden.
Inzwischen ist sie einunddreißig, arbeitet mehrere Schichten in einem zwar edlen, aber menschenverachtenden Restaurant, trauert um den kürzlichen Tod ihrer Mutter, lebt in dem modrigen Anbau eines selbstgefälligen Bekannten und hat über 73.000 Dollar Schulden angehäuft. Ihren Leidenschaften zu folgen hat ihr nicht viel mehr eingebracht als ein paar Bekanntschaften und ein gebrochenes Herz.
“Ich schreibe das hin, aber es ist nicht das, was ich in Wahrheit sagen will, denn für das, was ich in Wahrheit sagen will, gibt es keine Worte.”
Writers & Lovers, Lily King
Erinnerungen an Caseys Mutter tauchen in der Story wie Lichtblitze auf, und oft ist die tiefe Verzweiflung, die mit der Erkenntnis eines endgültigen Verlustes einhergeht, nahezu körperlich spürbar. Casey’s Vater hingegen hat schon als Lebender jeglichen Glanz als Vaterfigur eingebüßt, hat er sich doch selbst vom Golftrainer zum Spanner an der örtlichen Highschool degradiert.
Und so kämpft Casey sich durch ihr Leben als Kreative kurz vorm Kollaps.
Kurz vor dem Rausschmiss aus dem Restaurant, kurz vorm Heulen, kurz vorm Fertigstellen des Buchs, immer kurz davor. Man erhält den Eindruck, als könne sie sich einfach nicht genug strecken, um mit den Fingerspitzen auch mal das Ziel zu streifen.
Ähnlich ist es mit Caseys Männergeschichten. Oscar kommt auf den Plan, ein erfolgreicher, aber verkopfter Schriftsteller mit zwei kleinen Kindern und einer Lücke in seinem Leben. Aber nur weil diese gravierend ist, passt Casey noch lange nicht hinein. Und dann ist da noch Silas, der sich allem ersten Anschein nach genau so treiben lässt wie Casey selbst. Aber vielleicht funktioniert das ja so mit dem Leben und Schreiben, dass die Kunst darin besteht, Halt in einem Fluss zu finden statt um jeden Preis ans Ufer zu wollen.
“Ich kann mich nicht mit einem Mann treffen, der in drei Jahren nur elfeinhalb Seiten geschrieben hat. So etwas überträgt sich.”
Writers & Lovers, Lily King
WRITERS & LOVERS ist frustrierend, impulsiv und toll geschrieben, dank Caseys Restaurant-Kollegen auch mal lustig und einnehmend und “in manchen Szenen ist ihr Selbstmitleid kaum auszuhalten”, wie der Kaffeehaussitzer über Casey schreibt. Ich kann jetzt auch nicht sagen, dass die Hauptfigur mir immer sympathisch war, manchmal ist sie eine ziemliche Idiotin, aber ich mag jeden Satz in diesem Buch.
Fazit: liebens- und lesenswert.
Das Buch ist eins dieser Bücher, nach denen ich einen Krimi anfange, weil es schwer ist, eine andere Geschichte anzufangen. Große Leseempfehlung für alle, die ihrem Herzen folgen. Kling zwar echt schwülstig, ist aber immer noch der beste Weg, um am Ende bei sich selbst anzukommen.
Ausgabe und Autorin:
Die 1963 geborene Amerikanerin Lily King ist mehrfach für ihre Romane ausgezeichnet worden. Herausgeber: C.H.Beck; 3. Edition (22. Oktober 2020), gebundene Ausgabe: 319 Seiten. Ich habe WRITERS & LOVERS übrigens bei Linus Giese von Buzzaldrins Bücher entdeckt.