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Selbst-Optimierung go Home.

Kategorie: Mindset
4. März 2021

Stopp, aufhören, ich will nicht mehr. Und ich meine ausnahmsweise mal nicht Corona, sondern diesen schlimmen Selbstoptimierungs-Wahnsinn, dem man sich offenbar selbst in seinen eigenen vier Wänden nicht entziehen kann. 

Ich will nicht mehr jeden Tag daran denken, dass ich jetzt eigentlich was für meinen Rücken tun müsste oder eine Runde um den Block laufen. Herrgott, früher bin ich (Skandal) nur EINMAL IN DER WOCHE zum Yoga gegangen, und es war ok. Heute komme ich mir schon wie eine Loserin vor, wenn ich nicht jeden zweiten Tag Gewichte stemme. By the way: Nein, ich will gerade keine Radtour in die Eifel machen bei dem schönen Wetter, danke, man sieht sich. Ich möchte lieber irgendwo sitzen und MEINE RUHE HABEN und nicht mehr jede freie Sekunde mit Arbeit und Wissen und Fitness vollstopfen, nur weil das heute so schön geht.

Nach Corona werde ich die Einzige sein, die weder ein neues Instrument noch eine neue Fremdsprache gelernt hat. Ja Leute, ich hab mich mal so richtig gehen lassen, lebt damit. 

Kurz nach der Entdeckung von Clubhouse habe ich mich im Keller vor unserer Waschmaschine dabei erwischt, wie ich irgendwelchen beschämend jungen Marketing-Spacken dabei zugehört  habe, wie sie in einem Denglisch, das selbst mir als Werbefrau kurios vorkam, über die neuesten Trends bei Social Media geschwurbelt haben. Da hab ich mich auf einmal gefragt, ob es jetzt nicht viel schöner wäre, doof zu bleiben. Nur ein bisschen, bitte.

Früher konnte ich beim Kaffeetrinken oder Frühstücken noch müde vor mich hinstarren, ohne dass gleich der Smoothie schal wurde. Heute versuchen wir morgens um sechs kollektiv Yogaübungen zu machen, dankbar zu sein, dekorative Frucht-Superbowls zu kreieren und irgendwelche Styles von Insta zu kopieren. Wir machen uns passend für die neueste Mode, anstatt sie zu diktieren und das aus dem Schrank zu ziehen, was uns passt und glücklich macht.

Optimierung überall, vom Kaffee bis zum Kleinkind.

Selbst Babys kommen bei Insta rüber wie stylische Accessoires. Meine waren damals zuweilen ziemlich stinkende, brüllende, nicht durchschlafende und zum Umfallen süße Menschen, die mit Schlamm bespritzt im Sandkasten saßen und dessen Inhalt aßen. Menschen eben. Ist das uns heute irgendwie peinlich, sowas zu zeigen?

Selbst das wäre noch gar nicht so schlimm (obwohl …), würden das ständige Ich-bin-noch-nicht-optimal-genug und der damit verbundene kollektive Kaufrausch nicht längst unsere Seele und unsere Erde ruinieren. Können wir uns nicht bitte alle mal wieder locker machen? Nur einen Moment? Und wieder mit gelblichen Zähnen auf unseren Polaroid-Fotos gemeinsam lachen und Salzstangen essen wie in den Achtzigern? 

Weil, ganz ehrlich, ich pack den Optimierungsload neben meinem Workload irgendwann nicht mehr. 

Ich meine, was soll das eigentlich alles, sind wir am Ende dieses Jahrzehnts eine weichgespülte Armada aus hellbeigen Joggingsets, Teddymänteln und Designertaschen? Gehen wir dann alle auch um halb zehn ins Bett? Früher sahen Kreativität und Persönlichkeit bunt und laut aus wie Nina Hagen oder der Blitz im Gesicht von David Bowie. Heute lässt sich Miley Cyrus einen Kurzhaarschnitt machen. Na, jetzt sind wir aber alle mal voll inspiriert. 

5 Wege aus dem Selbstoptimierungsload:

  • Einfach mal nichts tun. Verrückt.
  • In der Sonne sitzen. Siehe Punkt eins.
  • Das Singletasking üben. Multitasking ist Gedankenschrott, ehrlich.
  • Klamotten kaufen, die passen. Darin tanzen. Bunt sein.
  • Spaß an dem haben, was du gerade tust (und kein schlechtes Gewissen, weil du etwas anderes tun solltest. SCHEISS DRAUF!!!!)

Aber wie steigt man aus einem Optimierungs-System aus, das derart allumfassend ist? 

Das ist wirklich gar nicht so einfach, ich bin ja auch nur ein Mädchen, das vor einem Designer-Mantel sitzt und versucht, ihn nicht haben zu wollen. Ich will ja auch so ein schönes aufgeräumtes Insta-Wohnzimmer und wieder die Figur, die ich mit 25 hatte und dann bitte die Titten von Influencerin A und zweimal die passende Unterwäsche von Marke B. Aber Fakt ist, dass ich als Werberin weiß, wie lukrativ es gerade ist, dass ich mich immer ein bisschen unglücklich fühle und denke, dass mit ein paar Kilo weniger/der Tasche/you name it die Welt in Ordnung ist. Und dabei IST meine Welt doch schon längst in Ordnung, alle gesund und so weiter. Das sollte doch reichen, so für die nächsten 30, 40, 50 Jahre. Mehr geht doch eigentlich gar nicht.

„Letztendlich ist das ewige Streben nach Perfektion nicht nur sehr anstrengend, es ist ohnehin zum Scheitern verurteilt.“ 

Susanne Ackstaller, aus dem Buch: die beste zeit für guten Stil

Optimal zu sein ist zeitraubend und nicht erstrebenswert. Ich werde 50, herrje. Wann, wenn nicht jetzt, soll ich mich lockermachen? Mit 100? Im Klartext: Wenn auf meinem Grabstein am Ende steht, dass ich immer so schön mein Gewicht halten konnte, krieg ich dann endlich einen Keks?

Perfektion, das ist was für Idioten, echt jetzt.

Wie, schnallste nicht, dass mich dieses Selbstoptimieren kolossal nervt? Du, vielleicht gibt es ja ein Webseminar mit passender Checkliste dazu, das du dir beim Sockenzusammenrollen reinziehen kannst. Ich trag jetzt mein Gewicht in meine Diätapp ein, leg mir mein beiges Twinset raus und geh 10 km Joggen. Kleiner Scherz. Ich fang aber bestimmt ganz sicher garantiert morgen übermorgen oder so oder nie damit an. Versprochen.