Entscheider. Allein die Bezeichnung hat etwas Erhabenes, irgendwie Endgültiges. Entscheider sind Menschen, die sich kurz umgucken, ein paar kluge Machtworte fallen lassen und dann die richtigen Sachen in Stein meißeln. Lasst mich durch, ich bin Entscheider! Finger weg, das kommt von oben, das bleibt jetzt so.
Kurioserweise ist der Begriff des Entscheiders ausschließlich Männern vorbehalten, die sich mindestens auf der mittleren Führungsebene tummeln. „Gehen Sie doch am besten mal in die Berufsschule, da sitzt unsere Entscheiderin“, hört man auf Konzernebene eher selten. Dabei sind wir streng genommen alle Entscheider, und zwar rund zwanzigtausend Mal am Tag*. Ziehen wir die blitzschnellen Routine-Entscheidungen ab – wie beispielsweise die, ob wir morgens noch eine zweite Tasse Kaffee trinken oder die Socken mit den Flamingos oder den Ananas anziehen – bleiben immerhin noch die paar fünfzig Entscheidungen, die wir im Arbeitsalltag treffen müssen.
Während wir unsere Socken intuitiv auswählen, fackeln wir bei der Auswahl eines neuen Projektmanagementsystems für 500 Mitarbeiter leider oft deutlich länger. Kostet ja auch ein bisschen mehr. Während wir die Ananas-Socken wieder ausziehen, wenn sie nicht zum Business-Outfit passen, werden wir die falsche Software für 500 Mitarbeiter nicht mehr so schnell los. Denn Entscheider revidieren nicht gerne. Dass dies bei der unglaublichen Masse an Entscheidungen, die wir im immer komplexer werdenden Arbeitsalltag treffen müssen, der schiere Wahnsinn ist, scheint keiner auf dem Zettel zu haben.
Was passiert, wenn Entscheider die falsche Entscheidung treffen? Oft leider gar nichts.
Gerade der deutsche Führungsnachwuchs, so behauptet zumindest eine Studie, neigt dazu „Fehlentscheidungen zu beschönigen, statt daraus zu lernen“ **. In einem Land, das sich selbst als Land der Innovation rühmt, ist das geradezu tragisch. Denn praktizierte Innovation ist nichts anderes, als solange falsche Entscheidungen zu treffen, bis die richtige zu neuen Erkenntnissen führt. Leider wird in Führungskreisen die Fähigkeit, Entscheidungen zu revidieren, beim Erklimmen der Karriereleiter geradezu aberzogen. An sich selbst zweifeln macht man bitteschön nur ganz unten oder ganz oben – und wer ganz oben ankommen will, muss erst mal alles richtig machen. Schade, dass mit der Eitelkeit, keine Fehler zuzugeben, auch die besten Möglichkeiten aus diesen zu lernen, schlicht und ergreifend flöten gehen.
Leider gibt’s kein Trial and Perfect.
Deshalb tun wir einfach so.
Eine Lehre, die jeder von uns irgendwann aus dem Arbeitsmarkt zieht, lautet: Je größer die falsche Entscheidung, desto geringer erscheint die Chance, dass sie zügig wieder revidiert wird. Denn das hat ja alles Geld gekostet, vom Berliner Flughafen bis zum Brexit. „Unser neues Softwaresystem ist völlig am Arbeitsalltag vorbei, aber die GF und IT haben das nun mal so entschieden. Und wie teuer die ganze Implementierung war … Klar, das bleibt jetzt erst mal so.“,plaudert die genervte Fachkraft gerne aus. Was ändern? Völlig andere Entscheidungsebene.
Im übertragenen Sinne ist das so, als würden der geschätzte Leser dieses Blogs und ich mit dem Auto nach Paris aufbrechen, um dann auf halben Weg festzustellen, dass wir nach Paderborn unterwegs sind. Da wir aber ja schon den ganzen Sprit verfahren haben, fahren wir weiter auf der gleichen Strecke in der festen Erwartung, dass am Ende der Autobahn nach Paderborn der Eiffelturm auf uns wartet. Endlich angekommen stellen wir fest, dass der Reiseführer irgendwie nicht passt. Wir suchen trotzdem dieses kleine Restaurant am Fuße des Montmartre, um nach ein paar Stunden in den Paderborner Pommesgrill einzukehren. Als wir rauskommen regnet es, das macht die zusätzliche Anschaffung von Schirmen notwendig, und so weiter. Kurz: Man kann aus Paris nun mal nicht Paderborn machen – und aus einer falschen Entscheidung keinen großen Wurf, nur weil man diese ignoriert.
Gibt es überhaupt Fehlentscheidungen?
Die erste Regel, die ich im Arbeitsleben gelernt habe: „Triff immer eine Entscheidung. Wenn deine Entscheidung falsch ist, triffst du danach einfach die richtige. Aber triff nie keine Entscheidung.“ Ich halte mich dabei übrigens ganz locker an die Flamingo- oder Ananas-Methode: schnell entscheiden statt lange fackeln. Denn Intuition ist ein machtvolles Instrument, sozusagen die Summe aller unserer Erfahrungen, in Sekundenschnelle mobilisiert. Das ist oft besser als tagelanges Abwägen. Zweitens revidiere ich Entscheidungen, die mir falsch erscheinen und treffe neue Entscheidungen, die sich richtiger anfühlen. Auch, wenn mein Umfeld mir das auch mal als kurioses Hin und Her auslegen mag. Es ist doch so: Am Ende habe ich auf dem Weg nach Paris vielleicht noch die eine oder andere Sehenswürdigkeit auf der Strecke mitgenommen. Alle anderen stehen derweil in Paderborn. Winke, winke, Leute. Ich bin dann mal weg.
*karrierebibel.de, **Führungskräfteanalyse, Metaberatung