Verrückt für eine Buchbloggerin, aber ich war dieses Jahr auf meiner ersten Lesung. Noch verrückter, dass es auch die allererste Lesung der Autorin war. Als ich ankam, stand sie zufällig am Eingang des Café Fleur und vibrierte dort irgendwie aufgeregt vor sich hin. Ich mag ja Menschen, die eine Mischung aus Neugier, Zurückhaltung und Eigensinn verbreiten. Wie Jasmin Schreiber. Oder die Figuren aus ihrem Debütroman.
Ok, MARIANENGRABEN ist zum Heulen traurig, Frau Schreiber überhaupt nicht. Aber dann ist das Buch auch wieder so voller kurioser Begegnungen und witziger Dialoge, dass ich ein bisschen das Gefühl hatte, es wickelt mich immer dann in eine Zeltwand aus Hoffnung, wenn die Trauer zu heftig auf mich niederprasselt.
Zur Story:
Paula verliert auf tragische Art und Weise ihren kleinen Bruder Tim, was sie in tiefe Depressionen stürzt. Auf dem Bucheinband steht „in eine Depression“, aber ich stelle mir Depressionen eher wie eine Menschenmenge vor, in der man gerade noch treibt und plötzlich versinkt. Auch Paula geht unter und sitzt nun auf dem tiefsten Grund ihrer Seele fest, allein im Marianengraben, am tiefsten Tiefpunkt einer Welt, zu der sie ohne Tim sowieso nie so richtig Zugang hatte.
„Ich saß im Marianengraben mit einer kleinen Suppenkelle und sollte damit all das Wasser und den Schmerz aus mir herausholen, damit es mir besser ginge … Doch das funktionierte nicht.“
Tim fehlt, der vor Leben sprühte und der größte kleine Entdecker aller Zeiten war. Ohne, dass Paula die Welt mit seinen Augen sehen kann, bleibt sie für die junge Frau einfach stehen, und alle ihre Pläne und Träume erscheinen nichtig. Erst durch eine (sehr witzige) Zufallsbegegnung wird sie eines Tages aus ihrer Trauer-Wachstarre gerüttelt, nämlich als sie auf den schrulligen Rentner Helmut trifft, der auch noch eine Rechnung mit dem Leben offen hat. Bald finden die beiden sich im langsamsten Roadmovie aller Zeiten wieder, denn Helmuts Ferienmobil ist auch nicht mehr das jüngste. Zusammen beginnen die anfänglichen Zankhähne, sich mit dem Leben zu versöhnen.
„Wenn Trauer eine Sprache wäre, hätte ich jetzt zum ersten Mal jemanden getroffen, der sie genau so flüssig sprach wie ich, nur mit einem anderen Dialekt.“
Ein Buch darüber, dass man sterben muss und leben sollte.
MARIANENGRABEN ist ein Roman über Trauer, Liebe, Hoffnung und darüber, dass sich zwar keiner von uns entschließen kann, nicht zu sterben, aber wir uns alle entscheiden können zu leben. Was die ohnehin schon sehr nahegehende Geschichte noch ergreifender macht, ist der Erzählstil, der oft fast in Briefform an den Bruder adressiert ist. Man fühlt nahezu körperlich die Sehnsucht eines Menschen, der seinen einzigen Verbündeten und damit auch sich selbst verloren hat.
„Wäre Sehnsucht eine olympische Disziplin, ich hätte längst Gold geholt.“
Das Buch ist sowieso gefühlt von viel Wahrhaftigkeit durchzogen. Daher passt es für mich, dass Jasmin Schreiber seit Jahren als ehrenamtliche Sterbe-Begleiterin und Sternenkinder-Fotografin arbeitet und auch Depressionen ihr wohl nicht fremd sind. Der Bruder der Autorin erfreut sich jedoch nach eigenen Angaben erfreulicherweise bester Gesundheit und dürfte definitiv älterer als Tim sein.
Als ich das Buch noch nicht gelesen hatte, habe ich es auf diesem Kunstwerk fotografiert, das mein zehnjähriger Sohn ein paar Tage vorher gemalt hatte. Es stellt einen fiktiven Jungen in seinem Alter dar. Erst am Ende des Buches habe ich bemerkt, dass dies auch Tim sein könnte, der die Tiefsee liebt.
Fazit.
Wäre mein Herz ein Bücherregal, würde MARIANENGRABEN neben Mariana Lekys WAS MAN VON HIER AUS SEHEN KANN stehen. Ich bin mir sicher, dass es ein Highlight meines Jahres bleibt, und es wäre nahezu fahrlässig von dir, es nicht zu lesen.
Titel: Marianengraben
Autor: Jasmin Schreiber
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Eichborn
Auflage: 2te, 28. Februar 2020
2 Kommentare
Kommt definitiv auf meine Liste zu lesener Bücher. Danke für den Tipp!