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Kategorie: Mindset

Warum es weder richtige noch falsche Entscheidungen gibt.

7. Oktober 2022

Als ich so um die 45 war, hab ich auf einmal ganz viel über meine Entscheidungen nachgedacht, und ich schätze es geht ganz vielen von uns so. Denn wenn du deine eigene Karrieregeilheit und zwei Kleinkinder überlebt hast, hast du endlich wieder Zeit zu reflektieren, was du überhaupt die letzten Jahre so getrieben hast – und ob es das alles wirklich gebracht hat.

Auf einmal fragst du dich, ob die Entscheidungen, die dir vor Jahren noch ausgesprochen wichtig waren, in Wirklichkeit nicht die unwichtigsten überhaupt waren. Vielleicht auch, weil dir in der Lebensmitte zum ersten Mal so richtig klar wird, dass du sterblich bist:

Ab jetzt werden die Jahre, die dir noch bleiben, nicht mehr diejenigen überwiegen, die du schon gelebt hast. Und aus diesem Blickwinkel ist es scheißegal, ob du es bis zur Karrierestufe zwei, drei oder vier geschafft hast, es waren auf jeden Fall zu viele Stufen und zu wenig Quality Time. Vielleicht bekommst du sogar Panik, dass du deine besten Jahre verplempert hast.

Vor deinem inneren Ich tauchen Fragen auf, die du bislang so gar nicht auf dem Zettel hattest.

Hier eine Liste, und ich wette, ab 45 kannst du mindestens eine bis drei davon ankreuzen:

  • Oh Nein, warum habe ich ihn verlassen?
  • Oh Nein, warum habe ich ihn nicht verlassen?
  • Oh Nein, warum habe ich nicht früher auf mich geachtet?
  • Oh nein, warum habe ich nicht eine Zeit auf Bali gelebt?
  • Oh nein, warum habe ich so viel gearbeitet?
  • Oh nein, warum habe ich meinen Traumjob nicht durchgezogen?

Nun kann ich die Liste hier unendlich lang fortführen, was schlicht daran liegt, dass ein Leben aus so unheimlich vielen wichtigen und überhaupt nicht wichtigen Entscheidungen besteht. Wer will da schon sagen, wann du eine bessere hättest treffen können? Und: Wer will ferner sagen, ob die vermeintlich bessere sich nicht doch ein paar Augenblicke, Jahre oder Jahrzehnte später als die schlechtere herausgestellt hätte?

Wir alle sitzen irgendwann einmal der Illusion auf, dass es diese einzig richtige oder falsche Entscheidung im Leben gibt, die alles verändert.

Wenn wir allerdings bedenken, dass wir mehrere hundert Entscheidungen am Tag treffen, ist es ganz schön vermessen einer einzigen so viel Bedeutung zuzumessen. Trotzdem spinnt unser Gehirn phantastische Geschichten darüber zurecht, was alles hätte sein können: Hättest du damals schon Sport gemacht und in dem halben Jahr vorm Job, das du dir nach dem Studium nie genommen hast, an diesem coolen Marathon auf Hawaii teilgenommen, dann hättest du bestimmt dort deine große Liebe kennen gelernt (sportlich, groß, erfolgreich, unglaublich humorvoll) und würdest jetzt mit dem Bulli als Digital Nomad durch Kanada reisen und nicht in Herne-Crange in deinem Reihenhaus sitzen und die Wäsche machen. Jaja, ich versteh schon.

Nun ist dein Gehirn kein besonders realitätsliebender Freund und war im übrigen auch mal jung und unerfahren. Mit der Weisheit von heute über die Entscheidungen von gestern nachdenken ist daher schlichtweg idiotisch. Unser Gehirn ist, so habe ich es mal gelesen, ein Interpretationsorgan, das ein oft sehr eigenwilliges Bild der Vergangenheit zeichnet und das bei der Zukunft gerne noch mal einen draufsetzt. Manchmal kreiert es ein derart krass geiles Parallelleben, dass du am liebsten alles stehen und liegen lassen und dich in dieses glanzvolle Paralleluniversum verpissen möchtest. Du hast also quasi Fernweh nach etwas, das so nicht im Entferntesten einträfe. Völlig egal, welche Entscheidung du in deinen 20er oder 30ern getroffen oder nicht getroffen hast.

Klar, vielleicht hättest du wirklich diese Hawaii-Abzweigung nehmen können. Hätte aber auch sein können, dass du dann jetzt gelangweilt und unglücklich mit einem aus dem Leim gegangenen, ehemaligen Sportfreak auf einer Insel sitzen und Blumenketten an Touristen verkaufen würdest.

Kurzum: Hinterher bist du immer schlauer, aber vorher hast du auch schon dein Bestes gegeben.

Oder anders: Entscheidungen kannst du nur im Jetzt treffen. Ob sie gut oder schlecht waren, lässt sich – wenn überhaupt – oft erst nach etlichen Jahren beurteilen. Und DIE Entscheidung für den richtigen Job, Partner oder Lebensweg gibt es sowieso nicht. Denn DU bestimmst schließlich, wie es danach weitergeht, ob deine Beziehung gut läuft oder deine beruflichen Entwicklung voranschreitet. Dazu kommt dann noch ein bunter Mix aus glücklichen und unglücklichen Zufällen, und fertig ist dein Leben

Fazit: Hadere nicht mit deinen Entscheidungen, sondern umarme sie als prägende Abenteuer, die manchmal gut und manchmal lehrreich waren. Sei nicht so streng zu deinem 18jährigen Ich, das damals vielleicht nicht so ehrgeizig war, wie du es heute gerne hättest. Verzeih deinem 25jährigen Ich, dass es diesen Typen hat ziehen lassen, der dir nur im Nachhinein wie ein prima Fang vorkommt. Und hab Verständnis für dein 35jähriges Ich, das schlicht und einfach zu müde und zu sehr mit den Kindern beschäftigt war, um nebenher auch noch Profisportlerin zu werden. Alle diese Ichs haben dich immerhin ganz schön weit gebracht.

Mit 51 bin ich übrigens sehr froh, dass eine Flut teils grottenschlechter Entscheidungen mich zu dem glücklichen Menschen gemacht hat, der ich heute bin.

Würde ich heute vieles anders machen? Im Einzelnen ja, im Großen und Ganzen nein. Und wenn du mich fragst, ist es das Große und Ganze, auf das es ankommt. Alles andere kann ich ohne Gleitsichtbrille sowieso bald nicht mehr sehen.